Hallo und Moin zur zweiten Ausgabe Nonfiction,
heute geht es um Geschichten, im weitesten Sinne. Darum, wie wir uns Geschichten erzählen und wie tradierte Geschichten daraufhin auf unser Leben zurückwirken. Aber auch um die ganz klassische Geschichte im Sinne einer historischen Vergangenheit. Without further ado – los geht’s.
Simon Sahner (der übrigens zum festen Redaktionsteam beim hervorragenden Online-Feuilleton 54books gehört) bekommt gleich zweimal in seinem Leben eine Krebsdiagnose. Das erste Mal ist sie falsch, beim zweiten Mal ist es wirklich Krebs. „Beim Lösen der Knoten“ ist aber nicht einfach eine Krankengeschichte, vielmehr ist es ein Hybrid aus Erfahrungsbericht und kulturwissenschaftlicher Betrachtung in der Tradition von Susan Sontags „Krankheit als Metapher“.
Sahner spürt den kulturell tradierten Narrativen und Topoi nach, die untrennbar mit Krebs verbunden sind und stellt sie seiner persönlichen Erfahrung gegenüber. Dafür wirft er immer wieder auch einen Blick in andere literarische Berichte oder Filme und Serien und analysiert, wie das Erzählen von Krankheit selbst auf sozialen Medien einer ganz bestimmten Ästhetik folgt. Welche dieser Geschichten halten der Realitätsprüfung stand, wenn man sie am eigenen Leib erfahren muss? Gerade wenn es um die Überzeugung geht, Krebs sei eigentlich Ausdruck eines inneren Konflikts oder unterdrückter Gefühle, bergen Erzählungen die Gefahr, dem Erkrankten eine Mitverantwortung für seinen Zustand aufzubürden.
Die große Qualität des Textes liegt in seiner Offenheit und Bereitschaft, auch die dunklen Momente ohne Verklärung zu erzählen, ja, der Verklärung überhaupt kritisch gegenüberzustehen. Wenn man verstehen will, wie tief kulturell tradierte und reproduzierte Erzählungen hineinwirken in ein Leben und den Umgang mit Krankheit, insbesondere Krebs, dem sei dieses Buch sehr empfohlen. Auf eine ganz eigentümliche Weise entlastet es sogar, weil es bestimmte Bilder und Ideen bewusst dekonstruiert.
Simon Sahner: Beim Lösen der Knoten. Oktaven. 234 Seiten. 24,00 €.
Violet Jessop ist Stewardess und überlebt im Laufe ihres Berufslebens nicht nur ein, sondern gleich drei Schiffsunglücke. 1911 ist sie an Bord der Olympic, die auf ihrer Jungfernfahrt mit einem Kriegsschiff kollidiert. Wie durch ein Wunder wird niemand verletzt. 1912 ist sie an Bord der Titanic, – bekanntermaßen geht dieses Unglück weit schlechter aus. 1916 ist sie an Bord der Britannic, die zu diesem Zeitpunkt im Zuge des Ersten Weltkriegs zum Lazarettschiff der Royal Navy umgebaut worden ist. Glücklicherweise noch ohne Patient:innen an Bord läuft die Britannic auf eine Seemine und es kommt zur Explosion. An Bord: Violet Jessop, die auch diese Tragödie überleben wird, obwohl sie nicht schwimmen kann.
Richard Hemmer und Daniel Meßner, beide Historiker und seit über sieben Jahren Hosts des erfolgreichen Podcasts „Geschichten aus der Geschichte“, versammeln in diesem Buch historische Anekdoten rund um Menschen, die auf große Reise oder Entdeckungstouren gingen und Pionier:innen waren. In relativ kurzen Kapiteln erzählen sie u. a. von der oben erwähnen Violet Jessop, von Clärenore Stinnes und ihrer Weltreise mit dem Auto oder von Amelia Earhart und ihren Pionierleistungen im Langstreckenflug. Es geht aber auch um Forschungsreisen in die Arktis, die Stellersche Seekuh, deutsch-österreichische Siedler im peruanischen Urwald oder die Bedeutung von Vogelkot für die Landwirtschaft. Ähnlich wie in ihren Podcastfolgen sind die kleinen Geschichten locker, unterhaltsam und nahbar erzählt und in den jeweiligen historischen Kontext eingebettet. Obwohl sie ihr Augenmerk auf ein kleines Mosaiksteinchen der Geschichte richten, gelingt es ihnen immer, einen größeren Bogen zu spannen. Ich kann sowohl den Podcast als auch das kürzlich erschienene Buch sehr empfehlen!
Richard Hemmer & Daniel Meßner: Geschichten aus der Geschichte. Piper Verlag. 256 Seiten. 18,00 €.
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Sophie